lunedì, ottobre 08, 2007

Perverses

Nicht der Tod bekommt hier einen Sinn,
vielmehr hat das Leben jeden Wert verloren.
Tzvetan Todorov

Eine Schmugglerin im Ghetto, ein sechzehn Jahre altes Mädchen, kaum das Leben begonnen; müde; gefoltert; am Ende; wird an eine Mauer gestellt; sie weint und ihre letzten Worte waren eine Bitte an Gott; "ihren Tod als Opfer ihres Volkes anzunehmen; damit niemand sonst zu sterben brauche"; die polnischen Polizisten weinten als diese die Schüsse auf das M
ädchen abfeuerten....es geschah am Morgen des 17.November 1941 in Warschau....ihre Bitte wird unerhört bleiben....
....wer möchte diese Geschichte hören?....
Eine Gruppe von Männern und Frauen verbringen fröhliche, gesellige Stunden miteinander; lachen und musizieren, genie
ßen das Leben; gelöst und heiter wird getrunken, geraucht, relaxt und gefeiert; an die sorgenlosen Frauen werden Heidelbeeren verteilt (die haben sicherlich besonders gut geschmeckt); es sind Bilder von in Ausschwitz arbeitenden Frauen und Männern (Baer, Höss, Mängele, Hocker, Pohl, Kramer,....) aus dem Jahre 1944....wenn diese nicht wie auf den Bildern geschildert das Leben genießen, töten sie hunderttausende Menschen in kürzester Zeit....
....wer möchte diese Bilder sehen?....
Einer von vielen Aufsehern einer Gruppe von 6.000 Gefangenen auf einer sibirischen Flu
ßinsel im Frühjahr 1933, verliebte sich in eine der Gefangenen, ein hübsches Mädchen; er beschützt, versorgt diese mit Lebensmitteln, die Beiden haben ein Verhältnis und eines Tages erkrankt der Aufseher, ist zu schwach um zur Arbeit zu erscheinen; er beauftragt einige seiner Arbeitskollegen diese vor den hungernden Mithäftlingen zu beschützen....aber als diese das Mädchen finden, ist es schon zu spät....sie wurde an einem Baum gefesselt und dann wurden ihr Fleischstücke aus ihrem Körper herausgeschnitten, welche von den Mithäftlingen sogleich verspeist wurden...der Aufseher erfährt davon und krank, geschwächt eilt er zu dem von ihm geliebten Mädchen; sie lebt noch, aber es ist für jede Hilfe zu spät....sie stirbt in seinen Armen....sie endete als Mahlzeit hungernder Mithäftlinge, die keiner liebte....
aus dem Buch "Die Insel der Kannibalen" von Nicolas Werth
....wer möchte dieses Buch lesen?....
Ein Hutu, welcher sich während des Genozid an den Tutsi 1994 weigerte einige von diesen abzuschlachten, diesen hilft und als seine Freund davon erfahren diese ihm zur Bestrafung mit einer Machete die Ohren, die Nase, die Lippen und den rechten Unterarm abhacken und dann von ihm ablassen und dieser um sein Leben, um seinen linken Unterarm zu betteln
beginnt; einen Arm würde er doch zum Leben brauchen, aber nein, sobald er darum gebettelt hatte, wurde ihm auch der linke Unterarm abgehackt....händelos unter Freunden....aus einem Dokumentarfilm über den Genozid
....wer m
öchte diesen Dokumentarfilm sehen?....
Die unz
ähligen Geschichten; jene der Kinder im Warschauer-Ghetto; von den russischen Mädchen, welche in den besetzten Gebieten Russlands mehr oder weniger fast alle zu Mätressen der deutschen Offiziere/Soldaten wurden (Quelle:NKWD); die großen Künstler welche in den Konzentrationslagern für das Wachpersonal spielten (und nach dem Krieg sich alle zu Widerstandskämpfern verklärten - wohl dem Widerstand gegen die Menschlichkeit); die endlosen Gräueltaten; die Militärdiktaturen, die sogenannten Zivilisationen; die Massaker, die Deportationen, die Massenexekutionen; der Kinder- Sklaven-, Frauenhandel; das Unmenschliche....die Unmenschlichkeit....
Keine/r möchte sich mit diesen Bildern, diesen Geschichten, diesen Dokumentarfilmen, den
Erkenntnissen daraus beschäftigen; zu ungeheuerlich ist es für einen Einzelnen sich mit diesem Wissen (u.a. um die völlige Gewissenslosigkeit) zu befassen; zu dunkel ist des Herzen Finsternis, zu unbegreiflich dieses andauernd Blutbad, dieser Verrat an der Menschlichkeit, welcher die Geschichte der Menschheit ist und das Mäntelchen der Zivilisation, welches darüber gestreift wurde, ist löchrig, hält nicht warm, beschützt nicht vor der Barberei und den Grausamkeiten....die menschliche Boshaftigkeit (welche meist unbewußt ist) kann man nicht sehen, nicht hören, nicht riechen, nicht schmecken, nicht einem anmerken (auch wenn die meisten Menschen vom Gegenteil überzeugt sind); diese ist hochkomplex und wohl ist es schwer bis nicht möglich diese zu verstehen und die meisten Menschen wollen diese wohl auch nicht verstehen; denn diese ist nicht harmlos, denn belastend; ist ideologisch verseucht und nicht naturrein; die Beschäftigung damit löst kein unreflektiertes Wohlgefallen aus, diese schmeichelt nicht, dies hat mit Dreck, mit Wut, mit Pathologischem, mit Gier, Neid, Hass; mit Dummheit, Ignoranz und Überheblichkeit zu tun, diese Beschäftigung muss vor der Tür des eigenen Bewusstsein bleiben; diese Dunkelheit muss verdrängt, vergessen, weggeschlossen werden; unbedacht, ungefühlt und unreflektiert verbleiben; denn der Einzelne muss und soll sich auf die schönen Seiten des Leben konzentrieren; auf das Idyll und von der Realität sich fernhalten; ficken, genießen und in seinem kleinen Garten Eden seine Neigungen kultivieren....
Ich denke, dass es wesentlich ist sich mit diesen Gräueln,....zu beschäftigen, nicht um aus der Geschichte zu lernen, denn aus diesen Geschichten kann man nichts lernen (au
ßer vielleicht die falschen Schlußfolgerungen zu ziehen); denn um ein Verständnis dafür zu entwickeln was ein menschliches Maß sein könnte; dass man im Hintergrund dieses Wissen verwahrt und seine Handlungen und seine Worte zumindest zu einem kleinen Teil davon abhängig macht, dass man in aller Leichtigkeit (die meisten Menschen haben eh nur das Ficken im Kopf) doch etwas von dieser Schwere sich zumuten sollte, sich nicht unwissend wohlgefällig in seiner Dummheit sich wälzt, denn wissend mit den Dämonen der Erinnerung, der Geschichte, ja auch mit mit den Dämonen in sich Selbst kämpft.....
....